Wie glaubwürdig wollen wir denn sein?

■ Wir kennen ja im Prinzip alle die Zehn Gebote Gottes und die Sittlichkeitslehren des Evangeliums. Wir wissen auch, welches Sittlichkeitsideal Jesus Christus ausgerufen und Seine Jünger gelehrt hat: “Seid also vollkommen, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist!” (Mt 5,48) So ist es wohl allen ernsthaften Christen bewusst, dass wir nur dann gottwohlgefällig sein und eine innige Gemeinschaft mit Jesus eingehen und darin bleiben können, wenn wir Seiner folgenden dringenden Mahnung entsprechen: “Nicht jeder, der zu Mir sagt: Herr, Herr!, wird in das Himmelreich eingehen, sondern nur, wer den Willen Meines Vaters tut.” (Mt 7,21)
Dennoch schleicht sich bei uns bisweilen vielleicht ein kleiner Zweifel ein, ob man denn auch dann in jeder Hinsicht ganz genau bei der Einhaltung der Gebote Gottes sein müsse, wenn dies mit anderen legitimen Interessen kollidiert, wenn davon etwas abhängt bzw. auf dem Spiel steht, was an sich ebenfalls gut und gottwohlgefällig ist bzw. einen sehr hohen Wert darstellt. Muss man denn z.B. auch dann unbedingt ganz korrekt dem christlichen Gebot der Ehrlichkeit im Denken und Aufrichtigkeit im Handeln entsprechen, wenn davon in den konkreten historischen Lebensumständen ein nennenswerter Nachteil z.B. für sich selbst als kirchliche Amtsperson, für die eigene kirchliche Gemeinde oder klerikale Gemeinschaft bzw. sogar für die katholische Kirche als solche zu befürchten wäre.
Wäre man denn in einer solchen Situation nicht eventuell sogar berechtigt, es nicht ganz genau mit der Wahrheit zu nehmen bzw. etwas zu mogeln? Denn man würde ja auf eine solche Weise nicht einmal in die eigene Tasche arbeiten, sondern nur etwas schützen und verteidigen wollen, was an sich auf keinen Fall mit Füßen zertreten werden dürfe. Wäre man denn z.B. in der Auseinandersetzung mit den Irrlehren des Modernismus und den modernistischen Irrtümern der “Konzilskirche” bzw. beim Einsatz für den Erhalt oder Ausbau traditionalistischer Strukturen und kirchlicher Gemeinden nicht vielleicht sogar legitimiert, ja verpflichtet, z.B. so manche (zweifelsfreie und eindeutige) Unwahrheit in Kauf zu nehmen, weil man sich ja für den wahren Glauben und die wahre katholische Kirche einsetze? Zumal ja die Modernisten nicht selten alles andere als ehrlich und anständig waren und sind bei der Darlegung ihrer häretischen Lehren und der Durchsetzung ihrer verkehrten “Ideale”...
■ Nun, was sagt denn das Evangelium dazu? “Hütet euch vor den falschen Propheten! Sie kommen in Schafskleidern zu euch, innen aber sind sie reißende Wölfe. An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Sammelt man etwa von Dornbüschen Trauben oder von Disteln Feigen? So bringt jeder gute Baum gute Früchte; ein schlechter Baum aber bringt schlechte Früchte. Ein guter Baum kann keine schlechten Früchte tragen und ein schlechter Baum keine guten Früchte tragen. Jeder Baum, der keine guten Früchte bringt, wird ausgehauen und ins Feuer geworfen. An ihren Früchten also sollt ihr sie erkennen.” (Mt 7,15-20)
Jesus warnt uns also in Seiner Bergpredigt zunächst vor jenen falschen Propheten, die nach außen hin fromm erscheinen, in Wirklichkeit aber zerstörerische Absichten besitzen. Mit ihren zur Schau getragenen “Schafskleidern” wollen sie ja nur die Guten täuschen und von ihren eigentlichen Absichten ablenken, um dann umso leichter und wirksamer ihr destruktives Werk vollbringen zu können! An solchen Gestalten hat es im Lauf der Kirchengeschichte leider niemals gefehlt.
Aber die Begründung, die Jesus hier anführt, lässt auch uns alle aufhorchen, ob denn nicht etwa auch wir auf die eine oder andere Weise zu dieser Gruppe der Heuchler gehörten, wenn wir nämlich mit unseren Taten offenkundig dem widerstreiten sollten, was wir an frommen Worten formulierten. Denn wenn der “Baum” unseres Lebens tatsächlich so manche in die Augen stechenden “Früchte” der Unwahrheit oder Unredlichkeit “tragen” sollte, wie könnte denn dann dieser unser “Baum” wirklich “gut” und gesund sein? Denn “ein guter Baum” könne ja bekanntlich “keine schlechten Früchte tragen”! Also würden wir dann ebenfalls einen nennenswerten Defekt der moralischen Grundeinstellung mit uns herumtragen.
Außerdem schärft Jesus in der Bergpredigt wiederholt mit eindrucksvollen Worten das Gewissen der Apostel und anderen Zuhörer, es nicht bei einer halbherzigen Gerechtigkeit zu belassen, sondern so “vollkommen” zu sein bzw. zu werden, “wie euer himmlischer Vater vollkommen ist” (Mt 5,48). So sollen die Apostel “das Salz der Erde” sein, um den Menschen glaubwürdig die heilbringende Lehre Christi zu bezeugen und sie diesbezüglich sozusagen auf den Geschmack zu bringen! “Wenn aber das Salz schal wird, womit soll man es salzig machen? Es taugt zu nichts mehr; man wirft es hinaus, und es wird von den Leuten zertreten.” (Vgl. Mt 5,13)
Sie sollen “das Licht der Welt” sein! Selbst von der Wahrheit, Güte und Barmherzigkeit Christi entzündet, sollen sie Seine erlösende Liebe in die Welt hinaus tragen und die Menschen, die leider immer noch “in Finsternis und Todesschatten sitzen” (Lk 1,79) mit dem unerschaffenen Gnadenlicht Gottes erleuchten. “So leuchte euer Licht vor den Menschen, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen” (Mt 5,14.16).
Wie soll dies aber geschehen (können), wenn wir durch (aus welchem Grund auch immer) absichtlich formulierte Unwahrheiten das Licht Christi aus uns vertreiben und in uns somit bewusst eine Dunkelheit der Lüge und Verstellung tragen? Wie können wir dann irgendein glaubwürdiges Zeugnis für Christus ablegen, wenn wir uns dabei der unmoralischen und somit sündhaften Mittel der Unterwelt bedienen wollten?
Außerdem sind bei Jesus nicht erst der eigentliche Mord oder Ehebruch ein Kapitalverbrechen, sondern es werden von Ihm bereits eine bewusst zugelassene gehässige Gesinnung bzw. die willentliche Unterhaltung lüsterner Gedanken als ein ähnlich schwer-unmoralisches Verhalten vor Gott angesehen und bewertet (vgl. Mt 5,21-30). Und auch widerspricht Er aufs deutlichste sowohl der im Alten Testament verbreiteten Auffassung, dass man seinen Freund zu lieben und seinen Feind zu hassen habe, als auch der dort wie selbstverständlich hingenommenen Forderung nach rücksichtsloser Rachsucht und Wiedervergeltung (vgl. Mt 5,38-45). “Denn wenn ihr nur jene liebt, die euch lieben, welchen Lohn werdet ihr haben? Tun das nicht auch die Zöllner? Und wenn ihr nur eure Freunde grüßt, was tut ihr da Besonderes? Tun das gleiche nicht auch die Heiden? Seid also vollkommen, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist!” (Mt 5,46-48) “Denn Ich sage euch: Wenn eure Gerechtigkeit nicht weit vollkommener ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, werdet ihr in das Himmelreich nicht eingehen” (Mt 5,20)!
Somit ist ersichtlich, dass wohl jede eindeutige Unwahrheit und Lüge, jede bewusste Über- und Untertreibung in der Darstellung, jedes wahrheitswidrige und vom opportunistischen Geist betriebene Taktieren und Politisieren im klaren Widerspruch zu den gerade dargelegten Forderungen Jesu nach einer möglichst umfassenden, ja vollkommenen Sittlichkeit stehen! Geben wir also ebenfalls sehr Acht auf unser Denken, Reden und Handeln, damit wir uns in der praktischen Realität nicht etwa auch als eine Art “falsche Propheten” erweisen und uns dann vom Herrgott wohl zurecht sagen lassen müssen: “Ihr Heuchler! Treffend hat Isaias von euch geweissagt: ‘Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, sein Herz jedoch ist fern von Mir. Umsonst verehrt es Mich. Denn Menschensatzungen stellt es als Lehren auf’” (Mt 15,7-9)!
■ Jesus selbst hat ja auch dann keine Spielchen mit der Wahrheit betrieben, als Er in eine extreme, ja äußerst lebensbedrohliche Situation gekommen ist. Zwar vernehmen wir von Ihm in der Auseinandersetzung mitunter schlagfertige Antworten bzw. ziemlich schwerwiegende Anschuldigungen an die Adresse Seiner Gegner, der Schriftgelehrten und Pharisäer, aber nie irgendein wahrheitswidriges Reden geschweige denn eine Gehässigkeit oder ein verlogenes Taktieren. Auch die berühmten “Wehe”-Rufe (vgl. Mt 23) an jene Gruppe sind nicht Ausdruck eines etwaigen Hasses oder der Vergeltungssucht, sondern sollen in ihrer extremen Ernsthaftigkeit objektiv die Verdorbenheit der damaligen führenden Schicht aufdecken und diese Leute eben zur Umkehr anleiten.
Jesus opfert dann schlussendlich sogar Sein Leben für die Wahrheit und zeigt damit auch allen künftigen Generationen an, ebenfalls konsequent für die erkannte Wahrheit des christlich-katholischen Glaubens einzutreten: “Ja, Ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, dass Ich für die Wahrheit Zeugnis gebe. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf Meine Stimme.” (Joh 15,37) Hier anzunehmen, Jesus würde irgendeine “Notlüge” zugunsten des Glaubens und zur Mehrung Seiner Ehre moralisch legitimieren, wäre ja wohl komplett abwegig, ja fast schon gotteslästerlich.
Aber weil eben Jesus so konsequent zur Wahrheit stand und dann sogar Sein Leben für sie hingab, konnte Er auch die ansprechen, die sich im Innersten ihres Herzens nach ihr sehnten, bzw. sie für die göttliche Wahrheit “entzünden”. Diese vorgelebte höchstmögliche Glaubwürdigkeit Jesu war es, die die Menschen in Seiner Umgebung zutiefst beeindruckte und zum ernsten Nachdenken bewegte! Nicht umsonst waren “die Volksscharen von Staunen über Seine Lehre ergriffen. Denn Er lehrte sie wie einer, der (geistige - Anm.) Macht hat, und nicht wie ihre Schriftgelehrten und Pharisäer” (Mt 7,28f). Nicht umsonst kamen Zöllner und Dirnen zu Ihm und ließen sich auf den rechten Weg der Gottesfurcht bekehren. Nicht umsonst nahm Ihn auch der Zöllner Zachäus “mit Freuden auf” und gelobte Gerechtigkeit (vgl. Lk 19,1-10). Nicht umsonst erkannten “der Hauptmann und seine Leute, die bei Jesus Wache hielten” - wohl ebenfalls wegen Seiner konsequenten und durch nichts zu erschütternden Treue zur Wahrheit Gottes -, dass Er “wirklich der Sohn Gottes war” (vgl. Mt,27,54)!
Und nur jene, denen Seine Ehrlichkeit, Geradlinigkeit und Entschiedenheit in der Wahrheit deswegen ein Dorn im Auge waren, weil sie nicht nur schonungslos ihre eigenen entsprechenden Verfehlungen aufdeckten, sondern v.a. ihren mangelnden Willen zur aufrichtigen Umkehr anklagten, verhärteten sich in ihrem Herzen und ließen eben nicht das Wirken der Gnade Gottes zu. Ihre mannigfachen erfundenen und oft laut vorgetragenen Beschuldigungen gegen Jesus dürften wohl als ein (jämmerlicher) Versuch gewertet werden, ihr eigenes schlechtes Gewissen mit Gewalt zum Schweigen zu bringen. Nun ja, ob’s geholfen hat...
Hätte aber Jesus nur fromm herumgeredet, in der Lebenspraxis aber, wenn auch nur gelegentlich, bewusst und willentlich im Widerspruch zu Seinen eigenen Worten gehandelt, hätte Er sich von Seiner grundsätzlichen Einstellung her letztendlich in nichts von jenen Pharisäern und Schriftgelehrten unterschieden, die Er ja selbst überdeutlich kritisierte. Dann wäre Er nur einer von vielen jener “Heuchler” gewesen. Aber Er wäre dann von ihnen, wenn Er sich nämlich ihnen angepasst und angebiedert hätte, wohl auch akzeptiert worden...
■ Auch wenn wir einen Blick auf die Geschichte der jungen Kirche werfen, entdecken wir da ebenfalls weder irgendwelche Kompromisse mit irgendwelchen Un- oder Halbwahrheit noch ein verlogenes Feilschen um Macht, Geld oder Einfluss noch irgendeine von Hass oder Verachtung erfüllte Gesinnung! Wie Jesus am Kreuz für Seine Peiniger betete, so fluchten und hassten auch sie nicht, als man sie benachteiligte, verfolgte, vertrieb oder sogar grausam tötete.
Wie Jesus Seinen Zuhörern einschärfte: “Liebt eure Feinde, tut Gutes denen, die euch hassen und betet für die, die euch verfolgen und verleumden” (Mt 5,44), so lehrten auch die Apostel die Christen: “Die Liebe ist ohne Falsch. Verabscheut das Böse. Haltet fest am Guten. ... Segnet, die euch verfolgen; segnet sie und verflucht sie nicht! ... Vergeltet niemand Böses mit Bösem. Seid auf das Gute bedacht, nicht allein vor Gott, sondern auch vor allen Menschen. Soweit es möglich ist und auf euch ankommt, lebt mit allen Menschen in Frieden. Rächet euch nicht selbst, Geliebte, sondern überlasst es dem Zorngericht Gottes. ...’Wenn dein Feind hungert, gib ihm vielmehr zu essen; dürstet ihn, so gib ihm zu trinken. Dadurch sammelst du glühende Kohlen auf sein Haupt.’(1) Lass dich also nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse durch das Gute.” (Röm 12,9.14.17-21); “Vergeltet nicht Böses mit Bösem, nicht Schmähung mit Schmähung! Segnet vielmehr! Dazu seid ihr ja berufen, des Segens teilhaftig zu werden.” (1 Petr 3,9)
So konnte es dann auch geschehen, dass das kompromisslose Festhalten der ersten Generationen von Christen an den beiden wichtigsten Geboten der Gottes- und Nächstenliebe sowie deren kategorische Ablehnung irgendeiner Verwicklung in Lüge, Hass oder unlautere Verbindungen bzw. Geschäfte ihnen eine solche überzeugende Glaubwürdigkeit vermittelte, dass sie dadurch viele andere Menschen für den von ihnen gelebten Glauben anzogen und ihnen somit durch ihr beredtes Lebensvorbild viel mehr vermittelten, als es durch Worte allein möglich gewesen wäre! So lesen wir auch in der Apostelgeschichte die interessante Feststellung: “Sie hielten fest an der Lehre der Apostel und an der Gemeinschaft, am Brotbrechen und am Gebet. Jedermann war von Furcht (Ehrfurcht - Anm.) ergriffen. ... Sie priesen Gott und waren beim ganzen Volk beliebt. Der Herr aber führte ihnen täglich die zu, die das Heil erlangen sollten.” (Apg 2,42.47)
Und so setzt sich im Lauf der gesamten Kirchengeschichte fort, dass das im Prinzip kompromisslose und auch unbedingt lebensmäßige Festhalten an der Reinheit der Glaubenslehre, an den sittlichen Idealen des Evangeliums und an den von Jesus gepredigten Tugenden und Idealen für die einen ein weiterer wirksamer Ansporn zur größeren Glaubensfestigkeit und Gewissenhaftigkeit in der Erfüllung der Gebote Gottes und für die anderen ein Impuls zur Umkehr zum und Besinnung auf den christlich-katholischen Glauben überhaupt war. Und je heroischer diese Treue zu Christus vorgelebt wurde, je schwieriger sie umzusetzen war und je mehr Kraft und persönlichen Einsatz sie für die Betroffenen gekostet hat, desto mehr an positiver Wirkung hat sie dann auch entfacht.
So dienten die guten Christen durch ihr vorbildliches Leben den anderen Menschen immer schon als eine Art glaubensmäßiger und sittlicher Maßstab, an dem sich diese hilfreich orientieren konnten. So waren auch die treuen Jünger Jesu und der von Ihm gestifteten Kirche jenes “Salz der Erde” bzw. “Licht der Welt”, welche unser Heiland nach Seinem unergründlichen Ratschluss gebraucht, um nach Seiner Himmelfahrt eben durch Seine Jünger Seine heilige Mission der Rettung der Welt und Heiligung der Menschen effektiv fortsetzen zu können!
■ Wenn aber die Glieder der Kirche versagten, wenn sie sich hineinziehen ließen in die Tiefen der Lüge und der Sünde, wenn sie eine verhängnisvolle Verwicklung in irgendwelche unlauteren Verbindungen und dubiosen Geschäfte zuließen - wenn “das Salz schal” wurde - wurden sie in der Folge nicht nur persönlich kompromittiert und diskreditiert und verloren ihre eigene Glaubwürdigkeit, sondern wurden dadurch nicht selten sogar zu einem großen Ärgernis für die Sache Gottes, für welche einzutreten sie vorgaben! Wie viele Seelen wurden auf eine solche tragische Weise von Christus oder Seiner Kirche abgestoßen, wie viele Menschen wurden der guten Chance beraubt, zum Licht des Evangeliums zu kommen oder weiteren heilsamen Fortschritt im Glauben, der Hoffnung und der Liebe zu erzielen, wie viele Schicksale wurden bisweilen buchstäblich zerstört!
Bedenken und verinnerlichen wir, wie sehr uns Jesus davor warnt, anderen Menschen Versuchungen zu bereiten bzw. ihnen Anlass zur Sünde und dem Glaubensabfall zu geben: “Wer einem von diesen Kleinen, die an Mich glauben, Anlass zur Sünde gibt, für den wäre es besser, dass ihm ein Mühlstein um den Hals gehängt und er in die Tiefe des Meeres versenkt würde. Wehe der Welt um der Ärgernisse willen! Es müssen zwar Ärgernisse kommen; doch wehe dem Menschen, durch den das Ärgernis kommt!” (Mt 18,6f) Wie ein Heiliger durch seine heroische Übung der drei göttlichen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe zum Segen Gottes für die Menschen werden kann, so kann auch mitunter sogar ein einzelner bewusst eingegangener fauler Kompromiss mit der Unwahrheit, ein Nachgeben an die Rachsucht oder die verhängnisvolle Verbindung mit irgendwelchen unchristlichen Kräften viel und fast schon irreparabel an der eigenen Glaubwürdigkeit zerstören und somit einen mitunter nicht abzuschätzenden geistigen Schaden anrichten.
So kreidet man ja der Kirche heute immer noch so manches von ihren Gliedern in der Vergangenheit begangenes Fehlverhalten an. Zwar ist es historisch nicht immer zutreffend bzw. teilweise sogar tendenziös und maßlos übertrieben, was da die freimaurerisch-liberale Presse in der Gegenwart so alles an Vorwürfen gegen die katholische Kirche erhebt und destruktiv-systematisch unters Volk bringt. Dagegen haben wir uns zu stemmen. Aber teilweise stimmen ja auch diese Vorwürfe, leider trifft da einiges zu. So hängen diese Untaten wie eine dunkle Wolke über der Kirche und versperren so manchem Suchenden den Weg zu ihr und somit auch zu Christus!
Umso mehr wollen wir also das Gewicht auf die Ehrlichkeit im eigenen Denken und auf die Aufrichtigkeit im persönlichen Handeln legen, wenn man es heute ernst meinen sollte, gegen den neuzeitlich-gesellschaftlichen unchristlichen Geist und die verderblichen modernistischen “Neuerungen” der “Konzilskirche” vorzugehen und den überlieferten katholischen Glauben zu schützen, zu verteidigen und zu bewahren. Denn sonst setzt man sich bei den anderen dem (sehr wohl berechtigten) Vorwurf der Unredlichkeit, Heuchelei und Verlogenheit aus, verliert an notwendiger Glaubwürdigkeit und bringt somit schlussendlich auch die gute katholische Sache, für die man sich (verbal oder tatsächlich) einsetzt, ebenfalls mit in Verruf!
■ Lassen wir es also nicht zu, dass wir z.B. bei unseren Freunden nur deren Vorzüge sehen, bei denen aber, die in dieser oder jener theologischen Frage nicht unserer Meinung sind, in ungerechter Weise überwiegend nur nach Schwächen und Irrtümern suchen (wollen). Ist denn die eigene Gemeinschaft oder Bruderschaft praktisch unfehlbar, außerhalb welcher kein anderer Mensch etwas Vernünftiges wüsste? Hat das etwas mit Sachlichkeit, Gerechtigkeit und Wahrheitsliebe zu tun? Kann auf diese Weise dem katholischen Glauben wirklich ein guter Dienst im Kampf gegen die gewaltigen modernistischen Irrlehren erwiesen werden?
Wenn Kritik an unserer theologischen Haltung geübt werde, wenden wir uns doch zuerst objektiv dem Sachverhalt des betreffenden Diskussionspunktes zu statt den betreffenden Kritiker - von eigenen Denk- und sonstigen Fehlern ablenkend! - hauptsächlich nur diskreditieren und schlecht machen zu wollen. Sollte man denn nicht zuerst einmal richtig hinhören und das betreffende Argument zu verstehen versuchen, bevor man sich dagegen empört?
Natürlich ist es nicht angenehm, Kritik zu vernehmen oder Widerspruch zu erfahren. Aber ein Mensch, der vordergründig am katholischen Glauben und seiner Förderung interessiert ist (und eben keine Pflege von irgendwelchen privaten oder gemeinschaftlichen Eitelkeiten betreibt), geht sehr wohl einem sachlichen Argument nach bzw. darauf ein. Seine Liebe zur Wahrheit bzw. zu Jesus Christus wird ihm Kraft und innere Größe verleihen, gegebenenfalls auch seinen eigenen (Denk)Fehler einzugestehen und sich für die betreffende Kritik zu bedanken. Wie will man denn sonst ein echter Jünger Christi sein? Selbstverständlich kann man auch ignorant bleiben und mit vielen Worten andere Menschen überschwatzen. Nur wird man auf eine solche Weise niemand wirklich überzeugen geschweige denn das betreffende Problem wirklich lösen. Und irgendwann kommt dann die Wahrheit doch heraus!
Werden wir in irgendeiner theologischen Diskussion oder sachlichen Auseinandersetzung auf einen wichtigen Punkt aufmerksam gemacht und merken, dass wir dieser Frage eigentlich unbedingt nachgehen sollten, lenken wir doch weder unsachlich vom Thema ab noch verhindern wir bei uns selbst ein Nachdenken über den betreffenden Punkt. Denn sonst würden wir ja weder wahrheitsliebend sein noch könnten wir der nützlichen Lösung des Problems näher kommen.
Manchmal sehen die Menschen, dass jemand ein großes Unrecht getan wurde und drücken ihm ihr aufrichtiges Mitgefühl aus. Sobald sie aber erkennen, dass sie entweder selbst ein Teil des Problems sind oder aber zur Aufhebung der Ungerechtigkeit wirksam beitragen könnten, ja sogar von Amtswegen müssten (sofern sie nur den Großmut haben, Farbe zu bekennen), suchen sie nach tausend Ausreden und machen sich unredlich aus dem Staub.
Oder man steht “mutig” zu einer Sache, solange einem keine negativen Konsequenzen drohen. Sobald aber von einem bisweilen sogar ein tapferes In-Kauf-Nehmen von ungerechten Vorwürfen, von übler Nachrede, von Verleumdungen oder anderen Nachteilen abverlangt wird, zieht man sprichwörtlich den Schwanz ein und macht sich kleinlaut von dannen. Ob man so ein Bekenntnis zu Jesus Christus und Seiner Kirche ablegen kann?
Wie oft wird z.B. eine eigentlich notwendig zu führende Korrespondenz oder ein Gespräch einfach eingestellt, weil bzw. sobald man Argumente zu hören bekommt, die zwar sachlich und zweckdienlich sind, aber einfach nicht in den eigenen Kram passen? Sich wie selbstverständlich auch unbequemen Fragen zu stellen und auch dann sachlichen Hinweisen nachzugehen, wenn sie der bisherigen eigenen Vorstellung widersprechen oder sie in Frage stellen sollten, bedeutet innerliche Größe und eine echte Liebe zur Wahrheit! Wie will man sich denn für die katholische Kirche und den überlieferten Glauben einsetzen, wenn man sich bei Widerspruch irgendeine faule Ausrede sucht oder eine notwendig zu führende Diskussion einfach einstellt bzw. unterbindet? Erscheint man da als glaubwürdig?
Haben wir einen nennenswerten Fehler gemacht, der auch nicht unbedenkliche Folgen nach sich zieht, geben wir die Schuld dafür nicht einem anderen Menschen, obwohl dieser vielleicht nur eine kleine Unkorrektheit begangen hat, man selbst dagegen sich einen großen Schnitzer erlaubt hat.
Oder wie soll man z.B. das folgende Verhalten bewerten, wenn jemand einen anderen Menschen in dessen Gegenwart vor Anwesenden zwar über alles lobt (weil er sich von ihm offensichtlich irgendeine Gunst oder irgendeine finanzielle Unterstützung erhofft), in dessen Abwesenheit aber an ihm emotionsgeladen kein gutes Haar übrig lässt? Kann denn einem solchen Menschen gesundes Vertrauen entgegengebracht werden? Ist denn das keine furchtbare Heuchelei? Denn ein jeder anständige und zum unabhängigen Denken fähige Mensch wird da erkennen, dass es dem Betreffenden wohl kaum hauptsächlich um die gute Sache gehen kann, sondern dass er sich vordergründig wohl eher für die eigene Privatperson interessiert und irgendwelche persönlichen Vorteile sucht. Wie glaubwürdig kann denn ein solcher Katholik, geschweige denn Priester oder Bischof, sein?
■ In allen diesen und anderen analogen Fällen entsteht für die betreffenden Personen eine Art Stresssituation, Krise, in welcher das Interesse an Gott und dem überlieferten katholischen Glauben in irgendeiner Weise mit irgendwelchen anderen Anliegen konkurriert, ob diese nun an sich moralisch legitim sind oder eher als unsittlich einzustufen wären. Es soll sich wohl gerade in einer wie auch immer gearteten Krisensituation zeigen - offenkundig nach dem unergründlichen Ratschluss Gottes! -, ob es uns wirklich um Gott, den katholischen Glauben und die Wahrheit, die an sich letztendlich durch niemand manipuliert werden kann, geht oder ob wir bei und in uns doch einen stärkeren Einfluss anderer Interessen zulassen. Es soll offensichtlich herausgefunden werden, um was es uns letzten Endes geht, wie glaubwürdig wir überhaupt sind und für die von uns in den Mund genommenen Werte eintreten, wessen Geistes Kinder wir eigentlich sind, wie unangenehm auch immer dies für uns sein und klingen mag!
Der Herr prüft uns bisweilen auch auf eine solche Art und Weise auf Herz und Nieren, ob unsere Liebe zu Ihm echt und aufrichtig und unsere Hingabe an Ihn ehrlich sind. So sind die folgenden Worte Christi zunächst eine ernste und eindringliche Warnung an uns alle, sofern wir uns gegebenenfalls auch der Unlauterkeiten und Unredlichkeiten bedienen wollten, um angeblich Gott zu dienen. Für alle aber, die auch in einer schwierigen Situation wahrhaftig sind bzw. wahrheitsliebend bleiben, dienen sie als ein großer Trost in der Trübsal dieser Tage, der zu noch mehr Treue und Bekennermut ermuntert: “Wer immer vor den Menschen sich zu Mir bekennt, zu dem werde auch Ich mich bekennen vor Meinem Vater im Himmel. Wer Mich aber vor den Menschen verleugnet, den werde auch Ich verleugnen vor Meinem Vater im Himmel.” (Mt 10,32f)

P. Eugen Rissling

(1) Sprüche 25,21.22

 

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